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500 Jahre Reformation. Was nun?

Was vor 500 Jahren geschehen ist, war sicherlich bemerkenswert. Was aber in den 500 Jahren danach geschah, ist unendlich bedeutender als alles was Luther jemals gedacht, geschrieben oder gesagt hat.
Martin Luther hat uns nicht den Weg vom Absolutismus zur Demokratie gewiesen, er hat uns nicht den Weg vom Aberglauben zur Wissenschaft gezeigt und keinesfalls die Entwicklung hin zur Ökumene, die das Trennende zwischen den Kirchen überwindet, angestoßen.
Wir wissen heute, dass der Kosmos nicht still steht, Evolution kein abgeschlossener Prozess ist und wir wissen, dass jeder von uns in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft lebt, die mit christlichen Werten absolut nichts gemeinsam hat.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die evangelische Kirche

Meine Heimatstadt Schorndorf war in Zeiten der NS Diktatur ein Ort an dem es zahlreiche Mitglieder der Deutsche Christen, also der Nazi Fraktion innerhalb der evangelischen Kirche, gab. Hier wie an allen anderen Orten Deutschlands legten Pfarrer, die Mitglieder der Deutschen Christen waren, Hitlers "Mein Kampf" zur Bibel hin auf den Altar ihrer Kirche.
Das besondere am evangelischen Kirchenbezirk Schorndorf sind jedoch die zwei Aussenstellen des Nazi-Konzentrationslagersystems, Rudersberg und Welzheim, wo politische Gegner der Nationalsozialisten gefangen gehalten, gequält und erschossen wurden.

KZ Durchgangslager Welzheim

Bestürzend ist, dass noch kein evangelischer Dekan von Schorndorf es bis zum heutigen Tag vermocht hat durch eine Busspredigt oder eine namentliche Erwähnung der Opfer oder eine  Bitte um Vergebung, die Opfer auf richtige Art und Weise zu würdigen.
Niemand behauptet, dass der Dekan der evangelischen Kirche direkt verantwortlich war für das was in Rudersberg und Welzheim geschah. Klar ist aber auch, dass die Mehrheit der Wachmannschaften, der politischen Polizei (Gestapo) und aller anderen Beteiligten evangelischen Glaubens waren.
Noch einmal zur Erinnerung: Wieviele Schritte sind es von der evangelischen Kirche in Welzheim zum sogenannten Schutzhaftlager gewesen, dreihundert Schritte? vierhundert Schritte? Vielleicht sogar fünfhundert?
Konnte man an Sonntagen die Schreie der Gefangenen in der Kirche hören oder spielte in einem solchen Fall die Orgel ein kurzes "Gott wir loben dich"?
Vielleicht wurde dem SS Mitglied und Lagerkommandanten auch diskret vermittelt, er möge an Sonntagen zwischen zehn und zwölf Uhr niemanden quälen oder erschiessen, aus Rücksicht auf den evangelischen Gottesdienst in der Nähe?

Hetze gegen Homosexuelle nach 1945

Dieselben Dekane, die nie am Ort des Geschehens ein kluges Wort zu den Nazi-Lagern sagten, waren immer gerne bereit abwertend über Homosexuelle zu reden, ganz besonders gilt dies für Dekan Rolf Scheffbuch und Dekan Volker Teich.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird also heute noch, 500 Jahre nach Luther, von evangelischen Geistlichen gepredigt.
Half Luthers Judenfeindlichkeit den Nazis bei ihrem schrecklichen Tun, so sind es heute  Homosexuelle, Transsexuelle und andere Menschen, die nicht ein Leben "entsprechend dem biblischen Menschenbild" führen, die offen diskriminiert werden.
Die Konsequenzen sind heutzutage  nicht mehr tödlich, die Bereitschaft von evangelischen Christen andere Menschen zu verurteilen, bleibt dieselbe.
Der dunkle Schatten, der über Martin Luthers Reformation liegt, hat sich noch immer nicht verzogen.
500 Jahre reichen dafür nicht aus.

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